Am 12. Juni 2022 finden Kommunalwahlen in Sachsen statt: In über 180 sächsischen Städten und Gemeinden werden Bürgermeister*innen gewählt, in neun Landkreisen werden neue Landrät*innen berufen. Wir als Bündnis gegen Rassismus sehen mit einiger Besorgnis den Wahlen entgegen, welche eine große Bedeutung für die Zivilgesellschaft darstellen. Wie Benjamin Winkler von der Amadeu Antonio Stiftung im Editorial des Juni Newsletters von TolSax schreibt, “sind die Wahlen, nach den Landtagswahlen von 2019, ein erster Stimmungstest zur politischen Lage in Sachsen. Zudem sind dies die ersten größeren Wahlen nach dem Beginn der globalen Corona-Pandemie und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Konflikten. Mit Spannung wird in einigen Kommunen und Landkreisen zu beobachten sein, welche:r Bewerber:in sich durchsetzen wird. Ähnlich wie in den Vorjahren treten zu den Wahlen auch rechte beziehungsweise extrem rechte Kandidat:innen an. Erstmals engagiert sich auch die 2021 gegründete rechtsextreme Kleinstpartei „Freie Sachsen“ (…) Doch auch die rechte AfD wird bei den Wahlen versuchen, das eine oder andere Rathaus beziehungsweise Landratsamt zu erklimmen. Schließlich versucht die Partei damit, ihrem Anspruch als sächsische Volkspartei gerecht zu werden. Unabhängig davon bangen vor allem engagierte Menschen aus der Zivilgesellschaft ob der Wahlausgänge in diversen Kommunen und Landkreisen.”

Noch immer denken viele Menschen, dass es bei (Kommunal-)wahlen gar nichts zu entscheiden gebe. Doch diese Betrachtung ist weder richtig noch harmlos”, so Benjamin Winkler. Als Bündnis gegen Rassismus wollen wir ebenfalls die Bedeutung der Kommunalwahlen für die sächsische Zivilgesellschaft betonen. Der Ausgang der Wahlen beeinflusst die Möglichkeiten des Engagements zahlreicher Menschen, Initiativen und Vereine, welche gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entschieden entgegen treten. So wirken sich beispielweise Kürzungen von Fördermitteln auf die Arbeit zahlreicher (bildungs-) politischer Projekte aus.

Zudem haben “insbesondere zivilgesellschaftliche Kräfte in Sachsen immer wieder erfahren, dass sie in Rathäusern oder Landratsämtern nicht nur nicht beliebt sind, sondern dass sie auch als so genannte Netzbeschmutzer:innen bezeichnet werden. Nach wie vor gibt es in Sachsen Landkreise oder Kommunen, in denen es nicht einfach ist, das Problem des Neonazismus oder das der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit anzusprechen”, so Winkler. “Dies zeigt besonders deutlich, wie wichtig es ist, dass demokratische Zivilgesellschaft Verbündete in den Rathäusern oder Landratsämtern vorfinden kann. Verbündet heißt nicht, dass man jedes Ziel der Initiativen oder Vereine teilen muss, aber dass man diese ungehindert ihre Arbeit machen lässt. Des Weiteren lässt sich hieran erkennen, dass auch das Ziel, wie es beispielsweise in der neuen Richtlinie des Weltoffenen Sachsen (WOS) formuliert ist, dass Zivilgesellschaft und staatliche Stellen zusammenarbeiten, nicht überall problemlos möglich ist. Zivilgesellschaft muss die Chance haben, vor Ort Missstände und Probleme anzusprechen, auch und gerade gegen die Sichtweise von Bürgermeister:innen oder Landrät:innen. Von Seiten der Landesregierung wäre zu erwarten, sich dieser Problematik, nicht nur im Kontext der Kommunalwahlen, bewusst zu sein.” 

“Bereits die rechtsextreme NPD wusste um die Bedeutung der Kommunalwahlen. Deutschlandweit gelang es in den 1990er oder 2000er Jahren, Hunderte Kommunalmandate zu erringen. Damit schaffte es die Partei, für sich und ihre Anhänger eine lokale Verankerung zu schaffen. Schon damals galt: Je weniger nicht-rechte Menschen zur Wahl gehen, desto stärker können extrem rechte oder rechte Kandidat:innen abschneiden. In Sachsen darf durchaus die These ausgesprochen werden, dass der zweimalige Einzug der rechtsextremen NPD in den sächsischen Landtag undenkbar gewesen wäre, wenn sich die Partei nicht vorher auf der kommunalen Ebene engagiert hätte. Was damals für die NPD galt, gilt heute für die AfD oder die Freien Sachsen umso mehr. Jedoch kommt heute noch eine entscheidende Verschärfung hinzu. Beide Parteien wollen die Kommunalpolitik beziehungsweise mögliche Spitzenposten in den Landkreisen oder Kommunen dafür nutzen, eine Art radikale Opposition gegen die Landespolitik zu führen. Ermutigt durch die Zustimmung auf den coronakritischen Protesten will man damit gewissermaßen die Macht des Staates und seiner Organe unterlaufen, um nicht zuletzt eigene Machtansprüche geltend zu machen.” (WInkler)

Das wäre fatal, denn politische Entscheidungen, die auf kommunaler Ebene getroffen werden, haben unmittelbare Auswirkungen auf das Leben der dort ansässigen Menschen. Verfestigten sich auch auf dieser Ebene antidemokratische Potenziale, hätte dies verheerende sowie spürbare Auswirkungen und zwar genau auf die Lebensrealität derjenigen Menschen, denen das Recht auf demokratische Mitbestimmung verweigert wird. Dies unterstreicht abermals die notwendige Anpassung des kommunalen Wahlrechts.“ – so auch die Co-Vorsitzende des Dachverband Sächsischer Migrantinnenorganisationen e.V. Si Cao.

Wir als Bündnis gegen Rassismus fordern auch bei den Kommunalwahlen die Möglichkeit der demokratischen Mitbestimmung und politischen Teilhabe für alle Menschen, welche in Sachsen leben. Wir prangern gemeinsam mit dem Dachverband Sächsischer Migrantinnenorganisationen e.V. (DSM), welcher am 08. Juni diesbezüglich eine Pressemitteilung veröffentlicht hat, den Ausschluss verschiedener Gruppen von den Wahlen an. Darunter auch “jene, die weder die deutsche Staatsangehörigkeit noch die eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union besitzen, sogenannte Drittstaatsangehörige”, so DSM. “Während in vielen EU-Ländern das Kommunalwahlrecht angepasst wurde und auch Bürger:innen aus außereuropäischen Herkunftsstaaten ihr passives und aktives Wahlrecht ausüben können, wird eben jenen Bürger:innen in Sachsen die gleichberechtige Teilnahme an Wahlen verwehrt.”

Es ist nicht hinnehmbar, dass erneut Teile der sächsischen Gesellschaft für weitere 7 Jahre ihrer Mitbestimmung auf kommunaler Ebene beraubt werden. Wir vom DSM bekräftigen hier und heute erneut unsere Forderung nach der Einführung eines kommunalen Wahlrechts für alle Bürger:innen in Sachsen. Allen Menschen, die in Sachsen ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, muss dieses Recht zugestanden werden!“ – betont Kanwal Sethi, Co-Vorsitzender des DSM.

Weiter weist Azim Semizoğlu, Co- Vorsitzender vom DSM darauf hin, dass die Staatsangehörigkeit auch darüber entscheidet, wer sich um ein Amt bewerben darf. „Unsere Forderung nach einem Kommunalwahlrecht für alle Menschen in Sachsen umfasst explizit sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht. Menschen die Teil einer Stadt oder Gemeinde, die Teil der sächsischen Bevölkerung sind, müssen das Recht haben, sich als Kandidat:innen bei Kommunalwahlen aufstellen zu lassen und gewählt zu werden. Die Möglichkeit, nicht nur repräsentiert zu werden, sondern auch die Verantwortung von seinen Mitmenschen übertragen zu bekommen selber zu repräsentieren und direkt an der Gestaltung des Gemeinwesens mitzuwirken, ist ein Teil von politischer Teilhabe, der niemanden vorenthalten werden darf.“

Das Bündnis gegen Rassismus schließt sich den von Benjamin Winkler geäußerten Hoffnungen an, dass “insbesondere für Engagierte der Zivilgesellschaft bei diesen Wahlen in den Landkreisen oder Rathäusern demokratische Kandidat:innen die Oberhand behalten. Davon unabhängig braucht es Strukturen, welche die Arbeit von Zivilgesellschaft stärken und ermöglichen”.

In diesem Sinne möchten wir Euch alle in Eurem politischen und zivilgesellschaftlichen Engagement für ein menschenwürdiges Sachsen weiter bestärken und dazu auffordern, die Bedeutung dieser Kommunalwahlen Ernst zu nehmen und diejenigen mitzudenken, welche von der demokratischen Teilhabe ausgeschlossen sind und nicht wählen dürfen.