“Über 10 Millionen Menschen fliehen vor dem Krieg in der Ukraine, über 200.000 sind bereits in Deutschland angekommen. Es sind historische Aufgaben, die jetzt bei der Hilfe für Schutzsuchende bewältigt werden müssen. Dabei gilt es Fehler der Vergangenheit zu vermeiden und Menschen, die traumatisches erlebten, möglichst schnell einen dauerhaften Aufenthalt zu sichern. Allen Geflüchteten in Sachsen sollte schnell medizinische Versorgung und Unterbringung ermöglicht werden. Dafür existieren Optionen, um ohnehin überforderte Behörden zu entlasten. 

Anspruch auf sofortigen Erhalt der elektronischen Gesundheitskarte

Wir fordern für alle Menschen, die aus der Ukraine flüchten mussten, eine sofortige Vergabe der elektronischen Gesundheitskarte (eGK). Aktuell müssen die Schutzsuchenden Behandlungsscheine für den jeweiligen Ärzt*innen-Besuch beim Sozialamt einen Behandlungsschein beantragen. Dies ist ein enormer Ressourcen- und Zeitaufwand für Behörden, die derzeitig ohnehin an ihre Kapazitätsgrenzen geraten.

„Die Gesundheitsversorgung der ankommenden Menschen aus den Kriegsgebieten der Ukraine muss umgehend sichergestellt werden, indem eGK ausgehändigt werden. Sächsische Medinetze und Medibüros fordern die Gesundheitskarte für alle Geflüchteten schon seit Jahren.“, erklärt John Fiedler vom Medibüro Chemnitz.

Fiedler sieht eine Gefahr der Überlastung von Behörden, die ohnehin durch Covid einen aktuell hohen Krankenstand aufweisen: „Die Aushändigung von Behandlungsscheinen an alle Geflüchteten wird für Kommunen zur Überforderung. Das Auffangen der Bedarfe, die dabei unterversorgt bleiben, können die bestehenden ehrenamtlichen Strukturen in Sachsen nicht leisten. Die Folgen unzureichender medizinischer Versorgung wären größeres Leid und letztlich höhere Behandlungskosten. Die eGK für Geflüchtete würde ihre Versorgung sicherstellen, die Behörden entlasten und sogar Kosten einsparen. Entsprechende Konzepte nach dem Vorbild anderer Kommunen liegen bereits vor.“

Die Stadt Dresden hat es bereits vorgemacht: hier erhalten Asylbewerber*innen bereits eine eGK. In Leipzig hatte sich der Stadtrat 2020 für die Einführung ausgesprochen, allein die Umsetzung wurde bis heute nicht beschlossen. Lediglich der fehlende politische Wille blockiert im Moment eine sachsenweite Erteilung, denn in sechs Bundesländern erhalten Geflüchtete diese bereits.

Menschenwürdige Unterbringung – Fehler von 2015 nicht wiederholen

Um Obdachlosigkeit Flüchtender aus der Ukraine zu vermeiden, wenn Aufnahmekapazitäten ausgelastet sind, können Massenunterbringungen nur Zwischenlösungen sein. Langfristige Verträge mit Betreibern von Turn- oder Messehallen sorgen dafür, dass traumatisierte Menschen dann auch langfristig in ungeeigneten Flächen leben müssen.

Als Flüchtlingsrat forderten wir seit Jahren eine Abkehr von Massenunterbringungen für Geflüchtete: „Es muss auf Dauer dezentraler Wohnraum für alle Geflüchteten geschaffen werden. Nicht nur die steigenden Inzidenzen begründen die Notwendigkeit. Menschen, die aus dem Krieg kommen brauchen Ruhe. Sie müssen in Privatssphäre geschützt leben dürfen, um tatsächlich in Deutschland ankommen zu können“, fordert Kristian Garthus-Niegel vom Sächsischen Flüchtlingsrat.

2015 wurden langfristig Flächen für Massenunterkünfte gemietet. Dies führte in der Konsequenz zur Blockierung tatsächlicher Integration, da Menschen in Großunterkünften über Jahre isoliert lebten. Es gilt also die Fehler dieser Zeit nicht zu wiederholen!

„Wenn jetzt Menschen privaten Wohnraum dauerhaft für Geflüchtete aus der Ukraine bereitstellen, muss dies auch honoriert werden. Schließlich ist diese solidarische und unbürokratische Lösung der Unterbringung auch kostensparender als sämtliche Formen der öffentlichen Unterbringung.“, fordert Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat. Zahlreiche Kommunen haben bereits Wohnungsangebote auf ihren Webseiten hochgeladen. Doch nur wenn eine entsprechende finanzielle Erstattung erfolgt, können langfristig Schutzsuchende privat wohnen, um Kommunen und Land bei der Unterbringung zu entlasten.

Kein Vergessen von Minderheiten – Drittstaatler*innen und Menschen ohne Papiere schützen

Gastarbeiter und Studierende aus Drittstaaten sind durch die EU-Richtlinie im Moment nicht geschützt. Jetzt fragen viele aus der Ukraine vertriebene Studierende nach ihrer Perspektive in unseren Beratungsstellen. Nicht selten handelt es sich um Menschen, die in ein oder zwei Jahren fertig ausgebildete Ärzt*innen, Ingenieur*innen, Informatiker*innen oder Pfleger*innen gewesen wären. Eine Rückreise ins Herkunftsland wäre für die meisten fatal, da sie dort selten die Chance haben ihr Studium zu beenden. In der Befürchtung, dass eine behördliche Registrierung letztendlich in Asylverfahren, Zwangsunterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen, Ausreisepflicht und Abschiebung führt, sichern sie sich derzeit täglich mit Ersparnissen ihre Existenz.

Minderheiten werden laut Berichten auf der Flucht diskriminiert, danach in ein aussichtsloses Asylverfahren gedrängt und leben dann ohne Perspektive in Gefahr einer Abschiebung.

 

Weiter ist die Situation für flüchtende Roma momentan sehr prekär, von denen circa 400.000 zuletzt in der Ukraine lebten. Besonders gefährlich ist der Alltag für ca. 30.000 Angehörige der Minderheit, die ohne Papiere fliehen. Betroffene berichten von schwerer Diskriminierung während der Flucht. In der Slowakei, Polen und Ungarn hätten sie Züge verlassen müssen, um Platz für ukrainische Staatsbürger*innen zu machen. Außerdem erreichen uns Berichte vom Verein Romano Sumnal e.V., dass Roma auf eigentlich kostenlosen Zugfahrten Geld oder Schmuck als Gegenleistung für Fahrten haben abgeben müssen.

„Es gibt gegenüber Roma und Sinti eine historische Verantwortung Deutschlands, diese zu schützen. In der NS-Zeit wurden sie zu Tausenden verschleppt, starben in Konzentrationslagern und wurden hingerichtet. Als diskriminierte Minderheit, leiden sie doppelt: sie erfahren Diskriminierung während der Flucht und erhalten danach keinen sicheren Aufenthalt. Sie fliehen vor Zerstörung und landen in der Perspektivlosigkeit – deswegen brauchen sie besonders dringend eine Möglichkeit Aufenthalt in Deutschland zu erhalten.“, so Jörg Eichler vom Sächsischen Flüchtlingsrat.”

Kontakt:

Dave Schmidtke
Pressereferent Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
Dammweg 5
01097 Dresden
Mail: pr@sfrev.de